Im letzten Kriegsjahr begannen Unbekannte, sich in dem zum Garten der Nebes gehörenden Wäldchen aufzuhalten, das an die unbesiedelte Landgrafenhöhe grenzte in einer großen Grotte, namens ‚Lehmkuhle‘. Sie waren scheu und rannten weg, wenn man sie anrief.
Daher stellte man ihnen auf einem Absatz unterhalb der Lehmkuhle in dem steil abfallenden Gelände bescheidene Speisereste hin, später auch Decken, Kleidung, Schuhe, Kerzen, alles, was man nur irgend entbehren konnte und alles verschwand über Nacht wie von Geisterhand.
Hermann hatte den Familienmitgliedern streng untersagt, die Schutzsuchenden zu stören. Es galt nun jeder, der sich vor Hitler verstecken mußte, als ein Verbündeter. Hermann trauerte um seinen Sohn. Er litt. Er tippte Flugblätter, die ein Ende des Krieges forderten und verteilte sie nachts in der Stadt. Tante Käthe, die geheimnisvolle Nachfahrin Rollos des Riesen, (nach dem nebenbei bemerkt Jack London seinen ersten Hund benannte) war teils als Freundin, teils als Kindermädchen oder Gesellschaftsdame oder Sekretärin oder Haushaltshilfe stets zugegen. Sie hatte Paulchen Wegeners Eskimo-Augen und ihr Lächeln, ihre Güte, ihre unsägliche Freundlichkeit begleiten die Endunterzeichnende auch noch nach 60 Jahren.
Paul Wegener wiederum war ein Vetter des berühmten Eiszeitforscher und Entdeckers der Kontinentaldrift, Alfred Wegener. Die Erforschung der Eiszeit beginnt mit den erratischen Blöcken, das sind Felsen, die sich an einem Ort befinden, wo sie nicht hingehören und das interessiert über die Eiszeitforscher hinaus auch Menschen, die wo sind, wo sie nicht hingehören.
So kommt es, daß der Name eines Zeitgenossen Wegners, eines weiteren, ebenfalls berühmter Eiszeitforschers und, wenn die Endunterzeichnende nicht irrt, eines Spezialisten für erratische Blöcke, dem Maler Ralf Winkler als Pseudonym, A.R. Penck, diente. A.R.Penck wollte den Sozialismus, resp. die DDR, resp. ‚das Erstarrte‘, resp. die Dinge unter dem Eis erforschen, so heißt es. Vielleicht dachte er aber auch, er sei ein erratischer Block, wenn auch aus merkwürdig weichem Gestein, jedenfalls malte er dann wie die Eiszeitmaler, was die – staatstragenden DDR-Funktionäre veranlaßte, ihn zu verschieben, wie das Eiszeiteis Felsen und Erden und Kontinente verschob, d.h. ihn aus der DDR rauszuvergraulen.
Das wird die Jubilarin Susanne Kandt-Horn, auch in Ückeritz noch auf eine lange Zeit geistig eingemuschelt in der wunderlichen volkreichen Eremitage ihres Elternhauses, kaum bemerkt, oder, wenn doch, in der ganzen Konsequenz kaum begriffen haben, wären da nicht die herausgerissenen Seiten eines Spiegel-Artikels von 1990 in einer ihrer Briefmappen, der Strawalde, Penck, Ebersbach, Baselitz, Herrrmann, Graf u.a. huldigte. Sein Inhalt, sei es die Kunst, sei es das bitterschwere Schicksal der Künstler, das oder irgendetwas davon muß sie beschäftigt haben. Es ist der einzige aufgehobene Zeitungsartikel über Gegenwartskünstler, der sich in ihrem Nachlaß befand.