Der kleine Säugling, der da in türkisem Battist mit altarabischer Kanne im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes getauft wurde, hatte keine Ahnung, daß er den Namen einer Frau tragen würde, die 2 Diktaturen getrotzt hatte. Ricarda Huch, die als Taufpatin ausersehen und wegen der Bombardierung der Alliierten nicht kommen konnte, war als erste Frau 1926 in die gerade eben gegründete Sektion für Dichtkunst der Preußischen Akademie der Künste gewählt und trat als erste von allen Mitgliedern 1933 wieder aus. Sie protestierte laut gegen die von den Nazis geforderte Entlassung Alfred Döblins. Sie lehnte Hitlers Rassendoktrin kompromißlos ab. Der in der faschistischen Ideologie enthaltene Biologismus war nicht kompatibel mit ihrem in der Nähe Luthers und der Aufklarung gewachsenen Menschenbild. Sie ließ wissen, daß sie das geforderte Treuegelöbnis gegenüber dem nationalsozialistischen Staat unter keinen Umständen unterschreiben könne. Sie war berühmt und ihre Bücher volksnah. Sie war die Stimme der damaligen gebildeten Mehrheit in Deutschland.
Sie war 83 Jahre alt, als Sie nach dem Zusammenbruch 1945 auf dem 1. deutschen Schriftstellerkongreß am 4. Oktober 1947 in Berlin bekannte: „Ich habe Geschichte studiert und kenne nicht nur die Geschichte unseres eigenen Volkes, sondern auch die der anderen Nationen gut; ich habe jahrelang in der Schweiz gelebt und fühle mich dort zuhause; ich war mit einem Italiener verheiratet, und ich habe sehr gerne in Italien gelebt; all diese Umstände haben bewirkt, daß ich ganz frei von einseitigem Nationalismus bin, aber national fühle ich durchaus.“ Sie arbeitete nach dem Krieg an einem Buch für die verstorbenen Widerstandskämpfer „In einem Gedenkbuch zu sammeln“. Ungeachtet ihres National-Bekenntnisses wollte man sie im Osten behalten.
1946 verlieh ihr die Jenaer Friedrich-Schiller-Universität die Ehrendoktorwürde. Sie wurde Alterspräsidentin der Beratenden Landesversammlung Thüringens. Doch sie verließ den sich auf eine kommunistische Regierung vorbereitenden Osten 1947 Richtung Kronberg, Frankfurt/M. Das war ihr letzter Kraftakt, denn sie verstarb unmittelbar nach der Fahrt.
Sie lebte während der Nazi-Zeit bei ihrer Tochter Maria (Marietta) geb. Cecconi und ihrem Schwiegersohn Franz Böhm in Jena, deren Haus mehr und mehr zu einer geschätzten Adresse für nachdenkliche und kritische Zeitgenossen geworden war. Auch Jonny und Susi hatten dort verkehrt. Zu den Gästen zählten zudem auch solche, die an den Planungen am Attentat des 20. Juli oder für die Zeit danach beteiligt waren. Franz Böhm, der nach dem Krieg zu den Vätern der Sozialen Marktwirtschaft und den wichtigen Köpfen des deutschen Ordoliberalismus wurde, verdankte es einer Namensverwechslung, daß er nicht in die Verfolgungsmaschinerie nach dem 20. Juli geriet, wie man heute weiß.
Im Frühling 1996 bat mich meine Mutter, „Jonnys Waffenrock“ zu ‚beerdigen‘, d.h. die im bescheidenen Nachlaß ihres ersten Mannes befindliche Ausgehuniform. Ich hob eine Grube im Garten aus, und wir legten die Uniform, die überdeutlich die Maße eines sehr sehr jungen Mannes zeigte, hinein, dazu die Stiefel, das Koppel und die Mütze. Der ‚Ehrendolch‘ war nicht mehr da. Wenige Wochen darauf, im Juni 1996, starb sie, die lebenslange Kriegerwitwe, wie man diese Frauen des unerträglichen Leides zu nennen pflegte.
Im Mai 1945 liefen in Eisenach Menschen hinter dem letzten noch funktionstüchtigen Auto her, das mit den letzten Tropfen Benzin aus letzten geheimen Vorräten lief und schrien „Frieden! Frieden!“ Man hatte das Verdeck heruntergelassen. Es wehten eine weiße Fahne neben der schwarzrotgoldenen deutschen Fahne (ohne Hakenkreuz) . „Frieden! Frieden!“ schrien die Menschen.
Diese Szene gehörte zu einem der glücklichsten Momente eines Menschen, der als Flüchtling aus Danzig mit seiner Mutter in Eisenach gelandet war und den Krieg haßte. Es war der junge Maler Manfred Kandt. [1] Noch in diesem ersten Jahr seiner neuen thüringischen Heimat lernte er die acht Jahre ältere Susi Horn kennen und machte ihr acht Jahre später einen Heiratsantrag. Dieser wurde angenommen.
Runde 30 Jahre danach hörte ich in der Klinik, in der ich am Tag zuvor meine Tochter geboren hatte, diesen Schrei. Ich hörte von Ferne eine Stimme „Frieden! Frieden!“ durch die Flure schreien und beim Näherkommen „In Frieden geboren!“ „In Frieden geboren!“ Und langsam begriff ich, daß ‚die Stimme‘ meine Mutter war, Susanne Kandt-Horn. Alle Frauen um mich herum waren sehr ernst geworden.
Die Endunterzeichnende streichelt jedem Soldaten die Hand, der diesen Frieden bereitet hat.