Verzeihen Sie, ich muß den Gedanken unterbrechen und darauf hinweisen, daß in den glücklichen Zeiten, in denen wir heute leben, geformt von glücklichen Menschen, die alles einfach und überschaubar machen, ein gewisses Problem besteht, nämlich, daß das Einfache sicher das Wahre, auf jeden Fall das Vernünftige ist, aber das Reale, das Ding der Erkenntnis doch sicher nicht, denn das Reale erscheint eher kompliziert, um nicht zusagen, chaotisch, mit den Augen der einfältigen Vernunft gesehen, ziemlich widersprüchlich oder mehr künstlerisch: ganz schön clusterhaft.
Beispielsweise müssen wir der Tatsache ins Auge blicken, daß Kirche wie Potentaten aus Verantwortung für das Gemeinwohl, den Leuten sagten, wo’s lang ging, womit schon die Eltern der Betroffenen angefangen hatten und deren Eltern bis zu den ersten Generationen der ersten Seßhaften, die einst das Gesetz erfanden. [1]
Auf diese Weise organisierten die Seßhaften Bildung, Gemeinsinn, Verantwortung, Wille und schließlich machtvolle Staaten. Gleichzeitig aber nährten die europäischen Potentaten und Priester die christliche Flamme. Jeden Sonntag ließen sie in den Kirchen die Worte der Freiheit und Selbstertüchtigung verlesen – diese belebenden Worte, von denen bis zu den seligen Jesus‘ Zeiten kein Mensch gesprochen hatte, wolle man einmal von dem legendären Lau dse absehen, der um 600 v. Chr. von Dao sprach, was nach Freiheit klang, und dann war da Buddha, der so 500 Jahre vor Chr. von einer ‚Freiheit vom Rad der Bestimmungen‘ sprach und diese Freiheit im Nichts fand, oder präziser gesagt, die Freiheit war das Nichts und würde daselbst noch immer selig dösen, wäre nicht der Apostel Thomas im Jahre 53 (so weit wir wissen) in Indien angekommen, um dort einen der ältesten Bischofsstühle der Christenheit zu gründen und ziemlich eigensinnig Freiheit auf Erden für Mann und Frau zu predigen, [2] worauf Buddha auf einmal zurückkam zur Welt und herrliche Skulpturen schuf, Gandhara! Mathura! Plötzlich gab es Menschenbilder im abstrakten, d.h. bildlosen Indien der nach geheimen mathematischen Formeln aufgeschichteten Opferaltäre! Fallen Sie nicht auf das Wort Theologie herein! Glauben Sie nicht, es ginge dabei um Gotteslehren. Es geht um Menschenlehren, um eines Menschen Bauplan, um des unsichtbaren Menschen Konstruktionsentwurf, und wenn es gar keine Bilder vom Menschen gibt, wie z.B. in Indien es erst mal keine gab, wenn es stattdessen Mathematik gibt und die Präzision von Schicksalsuhrwerken, dann ist auch das ein Bauplan, der jedoch eines Tages wunderbar hintergangen wurde durch Indiens lebenspendende Göttergabe an die Menschheit – Yoga! . Nun aber Mathura, Gandhara! Noch so ein großartiges Geschenk! Willkommen lieber Prinz Gautama, der Sie sich aus Liebe zu den Menschen von Ihrem Jenseits zur Welt zurückbewegt und die Bedeutung des Menschenbildes für die Idee der Freiheit erkannt haben – willkommen in unseren Reihen! Die Malerin Susanne Kandt-Horn, an deren Zeugung wir hier gerade arbeiten, wird das Menschenbild in den Mittelpunkt ihrer Arbeit stellen und es wird Ihrer Sicht, Hochverehrter, wenn sie erlauben, hin und wieder nahekommen.
Wir müssen jetzt der oberverworrensten Verworrenheit ins Auge blicken, nämlich, daß eine bewunderte, vielleicht sollte ich sagen, angebetete ältere Bekannte Hermann Nebes, nämlich die bereits oben erwähnte Schriftstellerin Ricarda Huch, in der frühmittelalterlichen Ständegesellschaft die einzige Form sah, in der sich große Männer und Frauen ereignen können und mit ihnen das, was sie ‚das schöpferische Strömen‘, das ist die Freiheit, nannte. „Gott äußert seinen Willen im Genie“ sagt sie. Die Gedanken zeigen, wie weit entfernt sie ihren Genius und sein Gefolge von der sich bereits vorbereitenden Nazi-Propaganda sieht. Und wenn sie zudem ‚in den herausragenden Genien‘ das berühmte ‚deutsche Wesen‘ festmacht und nicht im Politischen und man in Versuchung ist, derlei Ideen in der Gemeinde Nietzsches zu wähnen, dieser mit seinem Herrenmenschen, so steht dagegen, daß sie den freien Menschen stets als Gesellschaft versteht und seinen Freimut auf eine gottgegebene Seele gründet in der Art, wie Paulus (Römerbrief, Bibel) das zur Sprache bringt. Nietzsche dagegen: „Ich heiße das Christentum den Einen großen Fluch, die eine große innerlichste Verdorbenheit, den Einen großen Instinkt der Rache, dem kein Mittel giftig, kleinlich, unterirdisch, klein genug ist, – ich heiße es den Einen unsterblichen Schandfleck der Menschheit ….“ [3]
Diese gewaltigen Haßworte Nietzsches im deutschen Drei-Kaiser-von-Gottes-Gnaden-Jahr 1888, als der Kirchenmann Gustav Nebe sich der politischen Macht ziemlich weitgehend subordinierte und van Gogh (sehr einsam) die Sonnenblumen malte – dieses spuckende zischelnde Nietzschesche Haßwort gegenüber dem jüdisch-christlichen Utopismus macht sich seltsam, wenn er 1 Jahr später in einem berühmten Brief bekennt „Lieber Herr Professor, zuletzt wäre ich sehr viel lieber Baseler Professor als Gott; aber ich habe nicht gewagt, meinen Privategoismus so weit zu treiben, um seinetwegen die Schaffung der Welt zu unterlassen. Sie sehen, man muß Opfer bringen, wie und wo man lebt. …“ [4]
Auch wenn der Satz, in welchem er seine Passion des Realen überdeutlich kund macht, Entgleisung verrät, (die Wortwahl, nicht die Botschaft des Satzes), so wird doch klar, wie sehr er eine anzustrebende Neuerschaffung der Welt an eine Antiphilosophie hängt und wie viel weniger er sich eigentlich mit Jesus Christus, als mit dem deutschen Idealismus prügelt, wie weitgehend er des letzteren Verhängnis, das Verhängnis des sokratischen Logos angreift, der Gefahr mitbringt, (wie alle Kraft), der wir ins Auge sehen müssen, nämlich eine ganz und gar von ihm (dem Logos) besessene, erkannte und durchdefinierten Welt, eine Welt, gewalttätig, wie ein neuzeitliches Hotelzimmer – hier darfst du duschen, da darfst du sitzen, hier mußt du bumsen und da kannst du einen Brief auf DIN A4 schreiben usw. – von dem Logos, der Denk-Maschine, die alles, was sie sieht, verblödet und versteinert, möchte sich die Endunterzeichnenden trotz aller Bedenken nicht trennen unter der Bedingung, daß die Denkmaschine täglich gezwungen wird, ihre eigenen Grenzen zu erkunden oder sich abzuschalten oder sich der Bewegung „Bilder hinter Bildern“ anzuschließen, die ein Bekannter der Nichte der Endunterzeichnenden begründet hat, indem er auf seinen Dienstreisen im Kampf gegen gewalttätige Hotelzimmer die dortigen Bilder abnimmt und auf dem sich nun zeigenden, meist helleren Tapetenfeld ein wunderbares eigenes Bild zeichnet oder malt. Dann hängt er das Hotelbild wieder darüber und das ist die vollkommen unbekannte subversive Bewegung der „Bilder hinter den Bildern“. Sie können auch mitmachen!
Ricarda Huch war 36 Jahre alt, als Nietzsche starb. Sie hatte, wiegesagt, kein Augusterlebnis. Sie beobachtete mißtrauisch die Vorbereitungen zum 1. industriellen Krieg der Menschheit. 1916 erscheint „Luthers Glaube“ in Leipzig, in welchem sie sich zum Thema positioniert: „… Deutschland und Italien, das ist nicht zu leugnen, haben sich seit Luthers Zeit sehr verändert. Die musterhafte Organisation Englands und Frankreichs wurde ihr Ideal, dem sie auf anderen Wegen als den bisherigen nachstrebten: sie wollen aus genialen politische Völker werden. Der Krieg wird vermutlich darüber entscheiden, ob das möglich ist. Die Unzerstörbarkeit des persönlichen Charakters, dessen Wurzel ja aus Gott kommt, scheint dagegen zu sprechen; andererseits ….“ [5] (Und, weil in den Tagen des Niederschreibens dieser Zeilen überraschend der Magnat Chodorkowsky frei kam und Pussy Riot und die Ukraine vor ihrer Atomisierung steht und heute, am 20.3.2014, die Krim in die Grenzen Rußlands zurückbeordert wurde, begleitet von schweren Vorwürfen Putins gegenüber dem Westen, eben dem Westen, dessen Rußlandpolitik seit Jahren und Jahrzehnten nur eines deutlich mache: er habe keine Ahnung von Rußland, und sich beklemmende Kriegsgefahr zeigt, sollte man vielleicht, auch noch, um zu begreifen, auf welchem Auge der Westen vielleicht wirklich erblindet ist, das bei der Huch lesen: „Vergleicht man etwa den Dreißigjährigen Krieg mit dem heutigen, so springt jedem ein wesentlicher Unterschied in die Augen. Dort, im 17. Jahrhundert, eine lächerliche Umständlichkeit, Ahnungslosigkeit, Ziellosigkeit, dabei eine unübersehbare Fülle der Erscheinung. Etwas Überschwengliches, zugleich Entsetzliches und Schönes stellt sich unserem inneren Auge vor, wenn wir daran denken. Dagegen jetzt eine Zielsicherheit, ein schnelles und sicheres Funktionieren, das jeden in Erstaunen setzt; das System bewährt sich über alle Erwartung. Es geschehen bekanntlich auch bei uns Greuel, und man vergleicht sogar hier und da mit dem Dreißigjährigen Kriege; aber in Wahrheit besteht vielleicht nur auf russischer Seite eine wirkliche Ähnlichkeit. Ich las die Schilderung eines Pfarrers in Ostpreußen, wie ein russischer hoher Offizier die ganze Einwohnerschaft eines Dorfes töten zu lassen drohte, sich an ihrer Angst weidete und besonders den Geistlichen zur Zielscheibe seiner Grausamkeit machte; wie dann aber plötzlich das Herz dieses Teufels sich wendete, und er mit einer wahrhaft großmütigen Wallung alle begnadigte. Das war ganz und gar ein Auftritt aus dem Dreißigjährigen Kriege.“. [6] Ricarda Huch folgt dem problematischen Entweder-Oder, (Genius oder Politik), das zum Inbegriff für das Jahr 1914 wird, bis zum Ende ihres Lebens. Zu den genialischen Völkern in der Antike rechnet sie die Griechen und Juden und zu den politischen die Römer. Zu den genialischen der Neuzeit rechnet sie die Deutschen,(die man heute , glaube ich, nicht mehr dazu rechnen kann), die Italiener und die Russen, wobei sie klare Präferenzen setzt, nämlich: die politischen Nationen ernähren sich von den schöpferischen Früchten der genialischen. Und deren Früchte sind, logo, Früchte der göttlichen Freiheit.
Sie zeigt wiegesagt Sehnsucht nach der mittelalterlichen Totalität, (der Große mit dem Gefolge). Sie mißtraut der ersten deutschen Demokratie. 1921 schreibt sie: „Die eisernen Maschen des Staatsnetzes“ breiten sich immer weiter aus, ebenso die „abartige Vorliebe für Systeme“ und „Parteiwesen“. [7] Ihr Mißtrauen ist berechtigt, aber was sie offenbar nicht sieht, ist der Aufbruch der Riesen in den Künsten, Wissenschaften, der Technik und Philosophie, bzw. Antiphilosophie in jenen Tagen allerorten, auch in den Bastionen des Politischen, wie Frankreich oder Spanien.
Sie sieht all das nicht, obwohl sie in der Preußischen Akademie der Künste zu Berlin neben Alfred Döblin, dem Wegebreiter der literarischen Moderne in Deutschland sitzt und beeindruckend zornig für ihn Partei ergreift, als die Nazis seinen Rauswurf beschließen. Sie empört sich über Banausentum und die neuen Rassenbestimmungen. Mit scharfer Kritik tritt sie als erstes Mitglied aus der gerade geschaffenen Sektion Literatur aus, in die hinein sie als erste Frau berufen worden war. Aber zum Fin de siècle und in der ganzen Zeit der Weimarer Republik gehen in Deutschland und Europa die von ihr herbeigebeteten Riesen um, und sie, die Thomas Mann anläßlich ihres 60.Geburtstags „Die erste Frau Deutschlands … wahrscheinlich heute die erste Europas…“ nennt, sie sieht diese nicht! Sie sieht nicht, was sich Großes tut.
Während die Kleinen und Oberflächlichen auf der Oberfläche des Geschiebes ihre Pfründe sichern, ereignet sich in Form einer unaufhaltbaren Unterströmung eine Weltenwende. Ricarda Huch ist mit dieser Distraktion nicht allein. Die Ratlosigkeit hinsichtlich dessen, was Freiheit genannt zu werden verdient, geht tief in die Zeit zurück. Perikles hielt Freiheit offenbar für eine Art Anmut, mit der man Befehle spricht und bereits die christlichen Priester der 3. Generation dachten, sie sei das Laster und die Massen dachten, sie sei das Chaos, gegen das das Gesetz zu errichten sei, woran sie nun feilten, bis sie ganz verdreht und artig parlierend in hochgeschnürten Korsetts über den ungeheuerlichen Tornüre-Popos an den Teetischchen der Gründerjahre reihenweise in Ohnmacht fielen, wären da nicht mein Großvater, Hermann Nebe und Onkel Tom gekommen und hätten sie gerettet mit „Take my Hand“ „O, what a wonderful day! „
Die Abdrücke der Füße von Paulus (geb. Saulus) im Staub der endlosen Landstraßen über 2 Kontinente hinweg markierten seinerzeit die einzigen Orte, wo Freiheit ein Wert und ein Thema wurde, (…zur Freiheit befreit! Gal 5,1), ohne einen Zweifel daran zu lassen, daß das herrliche Wort nur durch Glauben zu haben sei, (denn, wie wir schon wissen: alle Freiheit gründet auf unserem persönlichen Gewissen, an welches letztere man erst mal glauben, dem man erst mal vertrauen und auf das man erst mal hören muß, was gar nicht so einfach ist), auf daß allen Völkern der Welt die herrliche Ampel leuchte und alle Menschen wieder auf den richtigen Weg bringe, wenn wir, die Menschen, wie wir eben nicht anders können, in die Irre gehen, verwickelt und verhäkelt in unsere Ordnungen, Riten, und Moden und in unseren Unglauben an uns selber, man denke nur an Lilienfüße und Menschenfresserei und Kinder verprügeln und Kinder beschneiden und Eugenik und Sklaverei und Frauen zwangsverheiraten und Berufsverbot und Babies weinen lassen, damit sie merken, daß es ihnen nichts nützt und nur das Nützliche ist das Gute und Bacon (Huch’s Abscheufigur Bacon) usw. – also diesen, aus all dem Elend mit drei Worten „zur Freiheit befreit“ befreienden Paulus und diesen Jesus und den ganzen Gott mitsamt der Freiheit habe Dr. Martinus Luther mit seiner Schrift „Der servo arbitrio…“ in die Welt gesät, und habe dabei jedes Samenkorn mit solcher wilden Kraft in die Erde gerammt, daß die Donnerschläge noch heutigentags zu hören seien. Ja, so wahr ich hier stehe, Dr. Martinus Luther hat den Deutschen den Glauben an sich selbst zurückgegeben und der Glaube an sich selbst ist der ganze Schlüssel zur Freiheit und einen anderen gibt es nicht. Diese Freiheit nun ist das 20. Jahrhundert und ohne sie gäbe es dieses Jahrhundert überhaupt nicht. Er, Herr Mann, habe ja wohl einen mächtigen Riß in seiner goldenen Schüssel, wenn er nun dem Erneuerer Europas den braunen Sumpf anlasten wolle.