Hermann wanderte täglich in der Frühe den Berg hoch zur Wartburg und erklomm den von den unermüdlichen Spätromantiker wieder aufgerichteten Bergfried. In kommender deutscher Nacht würde er um dessen lateinisches Turm-Kreuz – dieses stets ein bißchen höher als die Landesfahne – mit ganzem inneren Furor kämpfen, denn ein gewisser Gauleiter namens Fritz Sauckel beabsichtigte, die Wartburg zum „Kulturmittelpunkt des Reiches“ zu machen. Der Burghauptmann Hans von der Gabelentz hatte zusammen mit seinem Vetter Börries Freiherr von Münchhausen, (beide gehörten auch zum engeren Freundeskreis von Hermann ) ab 1930 die Deutsche Dichterakademie mit Sitz auf der Wartburg eingerichtet, die eine nationale bis nationalistische Dichtkunst förderte und als Preis die Silberne Wartburgrose vergab, aber sie mußte 1938 dem Großdeutschen Dichtertreffen in Weimar weichen. Um diesen Verlust auszugleichen, bestand Sauckel darauf, die Wartburg für höhere Aufgaben mit dem Hakenkreuz zu krönen. Er ließ das Christenkreuz auf dem Burgturm 1938 bei Dunkelheit in einer Art mysteriösem Staatsstreich abnehmen. Tatsächlich kursierte ein Bild, das den Turm mit Hakenkreuz zeigt, auch heute noch im Internet zu besichtigen, das sich jedoch als Fotomontage erwies, denn der Burgwart Hermann Nebe und die Eisenacher protestierten und das Hakenkreuz wurde nach Berichten vieler auch heute noch lebender Zeitzeugen nie montiert, sondern im Gegenteil, am Tag nach der nationalsozialistischen Usurpation das alte Lateinische Kreuz wieder aufgerichtet. Es gab weiter den Versuch, den Fahnenmast mit dem schwarzen Hakenkreuz im weißen Rund auf der roten Fahne höher als das Kreuz zu führen, doch auch diese Subordination des Christenkreuzes unter die Politik, oder das, was die Nazis dafür hielten, mißlang, ebenso ein nochmaliger Versuch, das alte Kreuz mit dem Hakenkreuz zu tauschen. [1]
Hermann Nebe war bereits Oberhaupt einer 6-köpfigen Familie, Burgwart der Wartburg wie wir wissen, Vorsitzender oder Vorstandsmitglied zahlreicher, in vielen Fällen von ihm gegründeter Vereine, z.B. des Eisenacher Geschichtsvereins, des Thüringer Waldvereins, des Numismatikervereins, des Eisenacher Idiotenvereins – dessen Mitglieder „die Wankenden und Schwankenden“, überwiegend Down‘s und Spastiker, ihm auf seinen historischen Wanderungen durch Thüringen fröhlich und erstaunlich krampflos folgten und vor die er sich dank seiner Popularität schützend stellen konnte, als sie in besagter deutscher Nacht zur staatlich verordneten ‚Heim-Deportation‘ antreten sollten, welche, wie wir heute wissen, ihren Tod bedeutet hätte – des Rennsteig-Wandervereins, des Vereins „Freunde des Theaters“, „Freunde der Oper“ (sein Lieblingskomponist war zu jener Zeit Puccini), des Eisenacher Sommergewinnvereins u.v.m. Er mobilisierte all diese Vereine und rief zusammen mit seinem Freund, dem der Bekennenden Kirche angehörenden Thüringer Landesbischof Moritz Mitzenheim auf zum Kampf für die alte Christenburg. Er war menschenfroh. Er war beliebt. Die Eisenacher Bürgerschaft folgte ihm. Die Zeitschrift der Evangelischen Kirche Thüringens „Glaube und Heimat “ berichtete 1948 darüber. Im gleichen Jahr 48 würdigte man Hermann Nebe mit einer Ehrenprofessur für Geschichte und mit der Ehrenbürgerschaft Eisenach.
Doch schon 1945 wird er zum Präsidenten der Wartburgstiftung ernannt, er ist nun Burghauptmann und 1947 wählt die Stadtvertretung ihn und Bischof Mitzenheim zum Empfangskomitee für den gerade aus Amerika zurückgekehrten berühmten Schriftsteller Thomas Mann. Auf den beigefügten Fotos sieht man Anna Susannas Vater, halb verhungert und verstört vom Krieg und „der deutschen Schande“ [2] , 1947 mit Thomas Mann in der Mitte vor der Wartburg.
Das ist das Jahr, in dem die Gruppe 47 anfängt, sich ihre Sachen vorzulesen und Thomas Mann den Dr. Faustus veröffentlicht, wo er, assistiert von Theodor Wiesengrund Adorno, der ihm das halbe Buch schreibt, und auf Manns Frage, ob er (Mann) das veröffentlichen darf, „ja“ sagt, aber doch wohl nicht daran denkt, daß seine Autorenschaft gänzlich unerwähnt bleiben würde, (die Unerwähnung werden die Frauen Katja und Erika durchsetzen, Erika, O-Ton: „der Zauberer muß der Zauberer bleiben!“) – wo er (Mann) mit dem 3. Reich abrechnet und seine Kunsttheorie vorstellt, was eigentlich wie gesagt Adornos Theorie ist und die ist möglicherweise in wechselseitiger Inspiration mit Walter Benjamins Überlegungen [3] gewachsen, offene Erzählung, Ablehnung des geschlossenen Systems, also: Komposition statt Ableitung, (deswegen die viele Musik), essayistische Kompilation, Übermalung, weil die Äonen sich aufeinander legen und manchmal machen, dass sie einen Wohlklang ergeben, denn die Welt, o die Welt – die Welt gibt es doch!
Die Welt ist der Zusammenhang. Uns Menschen obliegt es offenbar, den Zusammenhang zu erschaffen, (die Arbeit der Nachhut), zu hegen und zu zelebrieren, sei er analytisch fadenförmig, oder sei er synthetisch sandwichartig, oder poetisch oder, um auf Adorno zurückzukommen – in Form der Komposition, jedenfalls unanalytisch, unkritisch, unironisch (im philosophischen Sinne des Wortes), unallgemein, die Sprache mit Sprache überschreitend, dafür eher affirmativ, singulär und universal, Anna Susanna würde ‚monumental’ sagen, (was es jedoch nicht haarscharf trifft). Kriegt Thomas Mann aber alles nicht hin. Viel zu klug. Wolln mal sehen, ob ich das hinkriege.
„Ihr Sohn“ (gemeint ist Hermann) „hat sich noch nicht zum Kriege gemeldet?“ fragte Kaiser Wilhelm II. meinen Urgroßvater. „Er interessiert sich nicht so dafür.“ „Will er denn kein Held sein?“ „Nein.“ „Will er nicht sein Leben für Volk und Vaterland lassen?“ „Nein.“ „Will er nicht zu Ehren kommen wie die anderen jungen Männer?“ „Er ist zu verspielt.“ „Dann wollen wir ihn zum Ernst bringen.“ „Aber Hoheit wissen doch, das Spiel ist von allen Dingen auf der Welt das ernsteste“ sagte der Vater.
“But an honest joy
Does itself destroy
For a harlot coy. “
Das ist aus “Silent, silent night” von William Blake. Thomas Mann zitiert es auf Seite 350 der Doktor-Faustus-Ausgabe von 1956 bei Fischer/Frankfurt und schreibt dazu „Ich kann die Herausforderung wohl verstehen, die von der vasenhaften Schönheit dieser Oden auf die Musik ausgegangen war, sie zu umkränzen: nicht um sie vollkommener zu machen – denn sie sind vollkommen – sondern, um ihre stolze schwermutsvolle Anmut stärker zu artikulieren und ins Relief zu treiben , dem kostbaren Augenblick ihrer Einzelheiten vollere Dauer zu verleihen, als dem gehauchten Wort vergönnt ist.“